Universalentschuldigung

November 1, 2020 Off By BlauerEngel

Endlich! Ich hab sie! Seit vorgestern! DIE Universalentschuldigung!

Ich bin fünfzig geworden und kann einfach nicht verstehen, warum viele das so schrecklich finden. Zum einen ist es doch schon ein dolles Ding, dass man es überhaupt so weit geschafft hat. Zum anderen kann ich jetzt immer sagen: „Sorry, aber du weißt ja, ich bin schon fünfzig!“

Der Partner sagt dir was Unangenehmes und du hast ihn ignoriert? „Du, entschuldige, aber ich bin doch schon fünfzig. Da hört man nicht mehr so gut.“

Den Termin beim Zahnarzt verpasst? „Oje, das tut mir aber leid. Aber wissen Sie, mit fünfzig macht das Gedächtnis nicht mehr so mit.“

Morgens kneift der Rücken schon, bevor du aus dem Bett gekrochen bist? „Mach dir nichts draus, liebe/r …, mit fünfzig ist das normal!“

Du hast die Schubkarre zu voll geladen und kommst den Hang nicht mehr hoch mit dem Ding? „Schatz, kannst du das bitte machen? Du weißt doch, ich bin schon fünfzig.“ Dumm nur, wenn der Schatz dann antwortet: „Stell dich nicht so an! Ich bin sechsundfünfzig und der Orthopäde hat mir verboten, schwer zu heben“…

Viele können auch gar nicht verstehen, warum ich das gar nicht so schlecht fand, dass ich keine große Geburtstagsfeier ausrichten konnte. Aber was mir alles dadurch erspart geblieben ist! Kein nerviges Gestalten und Ausdrucken von Dutzenden von Einladungskarten. Kein Frust, weil die Post das Porto für Briefe schon wieder erhöht hat und auf die Dutzenden von Einladungskarten neben der alten Siebzig-Cent-Marke neu gekaufte Zehn-Cent-Marken geklebt werden müssen. Kein Herumstreiten mit dem Catering-Service über Sinn und Unsinn von vegetarischen Mett-Igeln. Kein monatelanges Sinieren darüber, ob zwei oder drei Kuchen gleichzeitig in den Backofen passen und ob sie bei der gleichen Temperatur und mit Umluft gebacken werden können. Kein Nachfragen bei Freunden und Bekannten, ob sie altes Geschirr und alte Gläser ausleihen könnten, um die es im Bruchfall nicht schade wäre. Kein Nachfragen bei der Hausratversicherung, ob Glasbruch in größerem Ausmaß im Falle des Fallens eines Geburtsgasts versichert ist. Kein Zusammensammeln von Zigarettenkippen aus den Hecken rund um die überdachte Terrasse, weil die zehn Aschenbecher nach zwei Stunden schon voll waren. Keine Erklärungsversuche, warum es statt Grillwürsten nur Grillkäse gibt. Kein Taxidienst nach zwei Uhr morgens, weil die letzten drei Gäste ihre Autos nicht mehr finden. Es war so ein schöner Geburtstag!

Begonnen hat er mit einem kleinen, zarten Ständchen in melodischem Bass, zum Wachwerden. Und irgendwie hatten wohl auch die Katzen mitgekriegt, dass etwas anders war als sonst. Immerhin hatte Klaus spät am Abend vorher noch still und leise den Frühstückstisch in einen Geburtstags-Gabentisch verwandelt. Auf jeden Fall lagen drei Kater und eine Katze am Morgen brummend bei mir im Bett – schön!

Zum Frühstück durfte ich dann auch im Nachthemd erscheinen – bloß keine Hektik am Ehrentag! Und durfte mich gleich auf das nächste Ständchen freuen, das Klaus sogar selbst gedichtet hatte. Das Singen im Chor trägt echt schon Früchte! Dann war erst mal das Auspacken aller Geschenke dran, die ersten Anrufe, SMS und WhatsApp kamen auch schon, trotzdem war noch Zeit und Platz zum Frühstücken…

Wir hatten uns nicht viel vorgenommen für diesen Tag. Nur eine kleine Rundreise sollte es werden, zu einem meiner Nostalgieplätze. Als wir vor fast drei Jahren auf der Suche nach einem neuen Zuhause in der Natur waren, hatten wir uns auch in Nordhessen einen alten Hof mit großem Grundstück angeschaut, das „Blaue Haus“, wie es im Ort heißt. Ich fand das Haus damals phänomenal, hatte auch schon viele Ideen, was daraus werden könnte, aber aus unterschiedlichen Gründen haben wir uns damals dagegen entschieden. Am Freitag haben wir dann eine Überlandtour gemacht und geschaut, was aus dem blauen Haus geworden ist. Überrascht und erfreut haben wir erfahren und gesehen, dass inzwischen eine Frau mit ihrer Mutter dort lebt und eine Art Gnadenhof für Schafe dort aufgebaut hat. Was für eine schöne Idee!

Unser Mittagessen haben wir uns im ortsansässigen Biolädchen gekauft und uns mangels anderer gemütlicher Sitzgelegenheiten im Auto an einen kleinen Teich gesetzt. Der hatte uns damals total beeindruckt, weil er voller Frösche war, die alle lauthals rumgequakt haben. So was kann man im Herbst natürlich nicht erwarten, dafür bekamen wir die Schimpfkanonade eines Graureihers zu hören, den wir wohl gerade beim Mittagsfischen gestört hatten. Wusste gar nicht, wie laut und ausdauernd Graureiher schimpfen können…

Der Teich liegt übrigens hinter dem neu bepflanzten Hang… Auf dem Holzlagerplatz davor sind wir dann noch einer anderen merkwürdigen Gestalt begegnet. Keine Ahnung, was die da gemacht hat, vielleicht auch Geburtstag gefeiert…

Am Abend war ich dann, wieder im Vogelsberg angekommen, von Klaus zum Essen eingeladen. Was aber noch lange nicht der Geburtstags-Abschluss sein sollte, denn eines meiner Geschenke sollte ich dann erst am Samstag bekommen.

„Zieh den dicken Pullover an und eine Jacke drüber, und feste Schuhe. Wir sind zwei Stunden draußen ohne uns allzu viel zu bewegen.“ Hm, waren nicht gerade besonders aufschlussreich, die Anweisungen am Samstagmittag. Der Sinn des Ganzen erschloss sich aber recht schnell, als wir nach einiger baustellenbedingter Herumfahrerei dann am Ziel ankamen:

Auf uns warteten Erik und Amigo – glänzendes schwarzes Fell, frisch polierte Hufe – zusammen mit einem Kutscher und seiner Frau. Was für ein Gespann! Fast hätte ich mir gewünscht, statt mit den dicken Tretern mit Rüschen und Schühchen in den Landauer einsteigen zu können!

Und dann ging es für zwei Stunden erst bei bedecktem Himmel, etwas später bei strahlendem Sonnenschein durch den Vogelsberg und auch mitten durch Lauterbach.

Was für eine tolle Idee, was für ein wunderbares Geschenk! Ich liebe den Geruch von Pferden. Und die Fahrt in der offenen Kutsche, mit einer dicken Decke über den Beinen, durch eine malerische Landschaft und die Lauterbacher Altstadt, das war wirklich das Sinnbild der Ruhe und Beschaulichkeit, die wir hier (zumindest die meiste Zeit über) gefunden haben! Wir haben beide das selige Lächeln fast nicht mehr aus dem Gesicht bekommen…

Am Abend durfte ich mich dann nochmal einladen lassen, man weiß ja nie, wann man wieder Gelegenheit dazu haben wird… Aber dieser ruhige, gemütliche, entspannte und entspannende Geburtstag war wirklich genau das, was ich mir gewünscht hatte.

Und die Feier mit Familie und Freunden wird nachgeholt! Versprochen!