Da ziehen sie wieder

Oktober 22, 2019 Off By BlauerEngel

Schon seit ein paar Wochen hören und sehen wir sie immer wieder, die Kraniche auf ihrem Weg nach Süden. Das ist ein Anblick, den wir auch in Niederhöchstadt schon hatten: Dutzende, manchmal Hunderte von Vögeln, die in der charakteristischen V-Form, aerodynamisch und energiesparend, im Herbst von Nord-Osten nach Süd-Westen und im Frühling gerade in die entgegengesetzte Richtung ziehen. Obwohl ihre Rufe sich vermutlich über das Jahr nicht ändern, haben sie doch im Herbst immer etwas von Abschied – Abschied vom Sommer, von der Wärme, von grünem Wald und Wiesen, von Blumen, die draußen im Garten blühen. Und im Frühling sind diese Rufe gerade die Ankündigung genau dessen – sie bringen die Vorfreude auf Frühling und Sommer, auf Wärme, grünen Wald und Wiesen, auf Blumen, die den Garten wieder bunt machen.

Und mit den Kranichen ziehen auch meine Gedanken: Wer weiß, vielleicht werden die Kraniche in nicht allzu ferner Zukunft im Frühling kein so positives Zeichen mehr sein, sondern eher eines, das ein weiteres Jahr der Hitze und Trockenheit, von braunem Gras und Wassermangel ankündigt? Oder sie werden gar nicht mehr ziehen, weil sie auch im hohen Norden keinen adäquaten Lebensraum zum Brüten mehr finden, weil es auch dort zu warm geworden ist?

Auch wenn wir selbst keine Kinder haben, um deren Zukunft wir uns Gedanken machen müssten, überlegen Klaus und ich doch sehr oft, was wir anders, was wir besser machen können, nicht erst, seit eine sechzehnjährige Schwedin der Welt das Thema so richtig bewusst gemacht hat. Und ich frage mich, ob ich bereit bin, zum Beispiel auf Flugreisen zu verzichten – ja, überhaupt keine Frage, ich fahre eh lieber Bahn. Aber würde ich auch auf Flugreisen nach Schottland verzichten – da wird das „ja“ schon deutlich zögerlicher, Schottland ist einfach immer noch etwas Besonderes für mich, wird es auch immer bleiben. Also vielleicht nur alle zwei oder drei Jahre mal wieder nach Schottland, und dann mit Bahn und Fähre, statt mit Flugzeug? Das wäre doch zumindest ein Kompromiss, oder macht das nicht so viel weniger Natur kaputt, wie ich mir erhoffe?

Was ist mit den Bananen, Apfelsinen und der Schokolade, die ich so gerne esse, oder dem Joghurt, dem Käse und den Eiern? Reicht es, auf Südfrüchte die meiste Zeit zu verzichten, schaffe ich es überhaupt, weniger Schokolade zu essen? Joghurt und Käse gibt es nicht mehr so viel wie früher, aber die Veggie-Wurst, die wir gerade öfter mal essen, wird aus Eiern hergestellt, die nicht einmal Bio sind. Und selbst wenn sie Bio wären, wie viele männliche Küken müssen sterben, damit ich eine Scheibe Veggie-Wurst essen kann? Wie viele Kälber müssen geschlachtet werden, damit ich abends zwei Scheiben Käse auf meinen Broten habe?

Was bin ich bereit aufzugeben, damit ich auch in zehn, zwanzig, dreißig Jahren noch die Kraniche ziehen sehe?

Vielleicht mache ich mir auch zu viele Gedanken – ich alleine kann die Welt und das Klima nicht retten, zumindest sagen das die meisten. Immerhin haben wir aber schon damit angefangen, ein kleines bisschen was zu tun: Das neue Haus wird so saniert, dass wir Energie sparen werden; wir arbeiten im Garten komplett ohne Gift und Chemie und schaffen das im Haus auch schon zu einem großen Teil; wir bauen so viele unserer Lebensmittel wie möglich selbst an und da ist sicher noch jede Menge Luft nach oben; wir produzieren aktuell mehr als 90 % des Stroms, den wir verbrauchen, selbst; wir fahren so viel wie möglich mit dem ÖPNV und ansonsten nur einen Kleinwagen mit einem sehr niedrigen Benzinverbrauch. Außerdem stecken viele weitere Projekte zur Ressourceneinsparung noch in der Pipeline – ich bin nicht sicher, ob wir alles, was wir noch im Kopf haben, überhaupt schaffen werden.

Trotzdem, wenn die nächsten Kraniche kommen, werde ich wieder darüber nachdenken, wie lange ich sie noch ziehen sehen werde…