„Jagdschein…“

Februar 29, 2020 Off By BlauerEngel

Seit heute Mittag bin ich im Besitz einer Urkunde, die bestätigt, dass ich als Trapperin auf meinem eigenen Grund und Boden Beutegreifer, wenn sie keine Federn haben, in Fallen fangen darf.

Als Klaus und ich die Mühle gekauft haben, meinte Norbert, der Vorbesitzer, es wäre sicher nicht verkehrt, wenn ich einen Fangjagdlehrgang besuchen und den entsprechenden Schein machen würde. Und spätestens, als der Waschbär uns letztes Jahr die Hälfte der Weintrauben weggefressen hat, wussten wir auch, was er meinte. Also hatten wir uns beide für den nächsten Lehrgang vormerken lassen, der aber teilweise gerade stattfand, als Klaus in Tirol war.

Also bin ich alleine zu zwei Abenden Theorie zum Sportschützenverein Lauterbach gefahren. Und heute Morgen hat Klaus mich nach Köddingen zum Praxisteil chauffiert, weil ich mit dickem Kopf und fest verschlossenen Nebenhöhlen nicht so richtig fit bin. War aber nicht dramatisch, denn von allen Totschlag-, Kasten- und Tunnelfallen, die uns heute Morgen gezeigt wurden und die ich jetzt stellen darf, hat mich nur die Kastenfalle in Waschbär-Fanggröße interessiert, und die war recht schnell abgehandelt.

Allerdings waren Klaus und ich uns auf der Rückfahrt bereits darüber einig, dass wir uns im Moment sicher keine Kastenfalle zulegen werden. Denn es mag vielleicht kein allzu großes Problem sein, einen Waschbären zu fangen, aber was man dann mit dem Viech machen oder nicht machen darf, wenn man es mal gefangen hat, ist eine ganz andere Sache.

Irgendjemand hatte uns erzählt, es wäre ja überhaupt kein Problem, die Falle dann mitsamt dem gefangenen Waschbären irgendwohin zu fahren und ihn dann frei zu lassen – wenn man weit genug weg fährt. Aber Pustekuchen! Das ist nämlich verboten und man sollte sich tunlichst nicht dabei erwischen lassen. Denn sobald ich ein Wildtier eingefangen habe, bin ich der Eigentümer und somit dafür verantwortlich. Und nichtwilde Tiere, also solche, die niemandes Eigentum sind, darf ich nur mit Genehmigung aussetzen. Und welcher Jagdpächter oder Revierförster oder welche Behörde würde schon eine Genehmigung erteilen, einen weiteren ungeliebten Waschbären im eigenen Wirkungsbereich „anzusiedeln“?

Was dagegen ich machen muss, wenn ich den Waschbären denn gefangen habe, ist, für sein Wohlergehen zu sorgen. Das heißt, ich darf ihn nicht verletzen, leiden, hungern oder dursten lassen, unsachgemäß unterbringen oder gar ohne Grund töten. Heißt im Klartext: Ich muss ihm auf meinem Grund und Boden ein angemessenes Zuhause bereiten. Ein schönes, großes Gehege mit Schlafplatz, Futter und relativ viel Wasser, weil er ja ein Waschbär ist. Er darf im Winter nicht frieren und im Sommer keinen Hitzschlag bekommen. Am besten, ich nehme ihn mit ins Haus…

Oder, zweite Alternative, ich finde einen Jäger, der ihn erschießen darf. Das mit dem Erschießen ist grundsätzlich hier außerhalb jeglicher Siedlung, auf meinem Grund und Boden, kein Problem. Man sollte aber eventuell vorher der Polizei Bescheid sagen, damit sich nicht ein Spaziergänger oder Radfahrer oben auf dem Weg bedroht fühlt und die Typen mit den schwarzen Masken, den Sturmgewehren und den Blendgranaten plötzlich vor der Tür stehen. Dann ist aber die nächste Frage: Habe ich einen guten Grund für den Tod des Waschbären, damit ihn der Jäger erschießen darf (siehe oben)? Reicht es aus, dass er uns den Weinstock zerlegt? Dass er Vogelnester räubert und Amphibien abschlachtet?

Nun, gesetzt den Fall, dass der Jäger mit mir darin übereinstimmt, dass der Waschbär zum Tode verurteilt werden muss und das Urteil auch entsprechend vollstreckt, dann taucht das nächste Problem auf: Wohin mit dem toten Waschbären? Auf meinem Grund und Boden darf ich ihn beerdigen, wenn ich nicht im Wasserschutzgebiet wohne und ihm ein mehr als achtzig Zentimeter tiefes Grab schaufle. Aber will ich hier wirklich irgendwo einen Waschbären beerdigen?

Abziehen und essen war der wohl nicht ganz ernst gemeinte Vorschlag in einer der Theoriestunden. Aber wem schenke ich als Vegetarierin einen Waschbären zum Verzehr? Und wo lebt der nächste Kürschner, um mir meine (Wasch)Bärenfellmütze zu gerben?

Also, einfach in die Restmülltonne mit dem toten Tier? Das geht, aber unsere schwarze Tonne wird nur alle zwei Wochen geleert. Was, wenn der Waschbär just im Sommer an dem Abend in die Falle geht, an dem der Müllwagen tagsüber die Tonne geleert hat? Ordnungsgemäß könnte der Waschbär auch in die Tierkörperbeseitigungsanstalt gebracht werden und würde dort krematiert. Aber wo ist die? Und will ich mit einem toten Tier im Auto fünfzig, achtzig oder hundert Kilometer weit fahren?

Und überhaupt, in einer Gegend, in der es so viele Waschbären gibt wie im Vogelsberg, dauert es vermutlich keine zwei Wochen, bis der nächste Waschbär das frei gewordene Revier besetzt hat. Und wer sagt mir, dass das kein junger Wilder ist, der zwar nix von Weintrauben oder Vogeleiern hält, dafür aber seine Kräfte gerne mit kleinen braunen Katzenmädchen misst? Oder sein Zelt auf dem Dachboden aufschlägt? Oder Himbeeren, Salatköpfe und Süßkartoffeln erntet?

Also werden wir es erst einmal weiter damit versuchen, mit dem Weidezaun die Weintrauben abzuriegeln, die Nistkästen so aufzuhängen, dass sie vor Waschbärhänden halbwegs sicher sind und auf eine Neuansiedlung von Amphibien zu verzichten. Aber die Urkunde kommt hinter Glas und an die Wand, falls unsere Versuche doch fehlschlagen…