„Weil ich es kann“
Vor ein paar Tagen habe ich lange mit einer Dame aus der Generation meiner Eltern gesprochen. Dass sie nicht dumm ist, weiß ich schon, so lange ich sie kenne, also schon sehr lange. Inzwischen habe ich mir dann gedacht, dass sie früher vielleicht die Weise Frau in ihrem Stamm hätte werden können.
Wir haben uns über die aktuelle Situation in der Welt unterhalten, über die Herausforderungen dieser Zeit, Klimaschutz, Konsumverhalten, Politikverdrossenheit, Probleme, die die Generationen ihrer Enkel- und Urenkelkinder werden lösen müssen. Und ein Satz von ihr ist mir besonders in Erinnerung geblieben: „Wir sind Schuld an der ganzen Misere“. Was sie meinte und mir dann auch erklärt hat, ist, dass ihre Generation im Wirtschaftswunder großgeworden ist. Sie musste keinen Krieg selbst miterleben. Was ihre eigenen Eltern kennengelernt hatten, Hunger, Elend, Verzweiflung, Zerstörung, Mangel an allem, das ist ihrer Generation erspart geblieben. Sie ist großgeworden, als plötzlich jeder wieder Geld hatte, sich genug zu essen kaufen konnte, ein Dach über dem Kopf hatte, sich ein Fahrrad, ein Moped, ein Auto leisten konnte, als wieder Arbeit genug da war, als nicht mehr nur noch sonntags Fleisch auf den Tisch kam, man sich für einen Sack Kartoffeln nicht mehr den Rücken auf dem Feld kaputt machen musste, die Eier aus dem Supermarkt und nicht mehr aus dem Hühnerstall kamen, als die Menschen die Chance hatten, sich durch Bildung „nach oben“ zu arbeiten und so zu einem ausreichenden Wohlstand zu kommen, plötzlich zur „Mittelschicht“ gehörten.
„Wir mussten auf nichts verzichten, und so haben wir auch unsere Kinder erzogen, im Wohlstand.“ Und so wären nun zwei Generationen, ihre eigene und die ihrer Kinder, herangewachsen in der Gewissheit, dass immer genug von allem da sei, unterstützt von Politik, Wirtschaft und Werbung, die auf immer mehr Konsum aus waren und es noch immer sind. Das Bruttoinlandsprodukt muss steigen! Die Wirtschaftskraft muss steigen! Die Exporte müssen steigen! Die Dividenden müssen steigen! Das Einkommen muss steigen, damit immer mehr konsumiert werden kann! „Aber worüber sich Jahrzehnte lang kaum einer Gedanken gemacht hat: Die Ressourcen sind endlich.“
„Wir selbst werden den Kampf wahrscheinlich nicht mehr miterleben, den Kampf um’s Wasser, den Kampf um Nahrung. Das überlassen wir schön unseren Enkeln und Urenkeln. Ich hoffe nur, dass die Jungen es noch schaffen, das Schlimmste zu verhindern!“
Und ich musste ihr voll und ganz Recht geben. Die Generation meiner Eltern und meine eigene, wir sind die Generationen „Weil ich es kann“. Diese Phrase wird, meist mit einem Grinsen, benutzt, um einen vermeintlichen Grund für eine oft abstruse Handlungsweise zu geben. Aber seien wir doch mal ehrlich: Es gibt doch kaum einen traurigeren Grund als diesen, etwas zu tun.
Wenn wir uns etwas kaufen, wenn wir konsumieren, egal, was es ist, und fragen uns, warum wir das jetzt kaufen, wie oft können wir guten Gewissens antworten: „Weil ich es unbedingt benötige“? Kaufe ich das neue Auto, weil das alte so alt und irreparabel kaputt ist, dass es nicht mehr über den TÜV kommt? Oder weil der Nachbar auch ein neues hat? Oder weil die Werbung so toll war? Oder doch einfach „Weil ich es kann“? Kaufe ich meinem Kind ein neues Handy, weil der Gruppendruck so hoch ist, immer das neueste Modell mit der besten Kamera und dem größten Speicher zu haben? Oder weil man damit Filmchen aufnehmen und direkt noch bearbeiten kann, um sie in irgendeiner App gleich der ganzen Welt zu zeigen? Oder vielleicht doch eher „Weil ich es kann“? Brauche ich einen noch größeren Fernseher, weil meine Brille nicht mehr taugt? Weil ich mein Wohnzimmer umgeräumt habe? Weil er besser zur neuen Couch passt? Weil die Fernbedienung kaputt ist? Weil er gerade im Sonderangebot ist? Weil ich mit ihm reden will und er auf mich hören soll? Oder „Weil ich es kann“? Wie rational sind meine Gründe?
Während ich das schreibe, fallen mir viele Kauf-Gelegenheiten ein, bei denen auch ich als Grund nur hätte antworten können „Weil ich es kann“, wenn mich jemand gefragt hätte. Gelegenheiten, zu denen ich gekauft habe, was nicht notwendig war, ohne einen rationalen Grund, ohne eine Not abzuwenden. Aber mir fallen auch immer wieder Dinge ein, die ich nicht gekauft habe, weil mir die Frage nach dem „Warum“ rechtzeitig eingefallen ist und ich dem Konsumdruck nicht nachgegeben habe.
Und so kann Veränderung beginnen. Vom „Weil ich es kann“ zum „Weil ich es benötige“. Damit es den nächsten Generationen vielleicht ein kleines bisschen weniger schwer gemacht wird, das Ruder noch herum zu reißen.